Traditional English and Irish Folk

Ages Of Man

Text, Übersetzung, Hintergrund & Interpretation

Full English - A Collection Of Traditional British Folk Songs ist ein Album des englischen Folk Musikers Mat Williams. Der Multi-Instrumentalist hatte bereits einen erheblichen Anteil an der Produktion der beiden Nursery Rhyme Collections und ebenso der deutschsprachigen Neuen Liedersammlung. Auf unseren Seiten finden sich die Original-Texte aller Songs, ausführliche Hörbeispiele, deutsche Übersetzungen und weitere Erläuterungen. Viel Spaß damit!

Über den Künstler und das Album (alle Lieder und viele Hintergrund-Informationen): Mat Williams - A Collection Of Traditional British Folk Songs

Hörbeispiel Ages Of Man



Englischer Text:

Ages Of Man

In prime of years, when I was young,
I took delight in youthful toys,
Not knowing then what did belong
Unto the pleasure of those days.
At seven years old I was a child
And subject for to be beguiled.

At twice seven, I must needs go learn,
What discipline was taught at school,
What good from evil I could discern,
I thought myself no more a fool.
My parents were contriving then
How I might live when I became a man.

At three times seven, I wexed wild,
And manhood led me to be bold,
I thought myself no more a child,
My own conceit it so me told.
Then I did venture far and near
To buy delight at price full dear.

At four times seven I must take a wife,
And leave off all my wanton ways,
Thinking thereby perhaps to thrive
And save myself from sad disgrace.
So fare ye well, companions all,
For other business doth me call.

At five times seven, I would go prove
What I could gain by art or skill,
But still against the stream I strove,
I bowled stones up against the hill.
The more I laboured with might and main,
The more I strove against the stream.

At six times seven, all covetness
Began to harbour in my breast,
My mind then still contriving was
How I might gain all worldly wealth,
To purchase lands, and live on them,
To make my children mighty men.

At seven times seven, all worldly care
Began to harbour in my brain,
Then I did drink a heavy draught
Of water of experience plain.
Then none so ready was as I,
To purchase, bargain, sell or buy.

At eight times seven, I wexed old,
I took myself unto my rest,
My neighbours then my counsel craved
And I was held in great request.
But age did so abate my strength
That I was forced to yield at length.

At nine times seven, I must take leave
Of all my carnal vain delight
And then full sore it did me grieve,
I fetched up many a bitter sigh,
To rise up early, and sit up late
I was no longer fit, my strength did abate.

At ten times seven, my glass was run,
And I, poor silly man, must die.
I looked up, and saw the sun
Was overcome with crystal sky.
Now I must this world forsake,
Another man my place must take.

Now you see within the glass
The whole estate of mortal man,
How they from seven to seven do pass,
Until they are three score and ten
And when their glass is fully run,
They must leave off where they first begun.


Words & Music: Traditional,
arranged & performed by Mat Williams







Briony Williams
Briony Williams

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Geschichte und Hintergrund von Ages Of Man

Es gibt gedruckte Exemplare dieses Textes, die zurückreichen bis zur Regentschaft von Charles II. Eines dieser Flugblätter war überschrieben mit “The Seven Ages of Man”. Merkwürdig in Anbetracht der Grundlagen der Arithmetik - der Song erzählt schließlich von 10 Zeitaltern des Mannes - oder auch des Menschen. Das englische Wort "man" steht sowohl für das offensichtliche deutsche Wort "Mann" als auch ganz allgemein für "Mensch". Doch zurück zu dem historischen Flugblatt. Vielleicht dachte der Urheber an Shakespeares “Seven Ages of Man” Rede aus dessen Stück “As You Like It”.

Es handelt sich offensichtlich um einen nachdenklich Blick zurück auf das eigene Leben. Aus der Perspektive eines alten Mannes. Es ist die Rede von der biblischen Zeitspanne “three score years and ten”, das steht für die Zahl 70 (= 3x20 + 10) und bis in das vergangene Jahrhundert hinein gave es nur wenige Menschen, die so alt wurden.

Es fällt auf, dass bei all den aufgelisteten Riten und Meilensteinen keinerlei Rede ist von sakralen Ereignissen, wie etwa Taufe, Konfirmation oder Hochzeitszeremonie. Wir hören von einer rein säkularen Welt, gemessen vom "Glas". Hiermit ist kein Trinkglas gemeint sondern ein "Stundenglas", also eine Sanduhr, welche die Dauer des Lebens anzeigt und unaufhaltsam verrinnt.

Am Anfang steht wenig überraschend die Kindheit. Das Kind erfreut sich an sich an Dingen ohne sich dessen bewusst zu sein. Es ist sich seiner selbst noch nicht bewusst. Die nächste Strophe erwähnt die Notwendigkeit zu lernen, Bildung, Disziplin und zu lernen, falsch und richtig zu unterscheiden. Es fällt erneut auf, dass es keinerlei Bezüge zu religiösen Einrichtungen gibt, obwohl die christlichen Begriffe "good" und "evil" genannt werden und obwohl Schule in der damaligen Zeit sicherlich unter der Kontrolle der Kirche stand..

Als die Schule vorbei war, entschieden die Eltern, welche Art von Handwerk oder Handel erlernt werden sollte, in jenen Tagen hatten die Jugendlichen in dieser Hinsicht kaum ein Mitspracherecht. Wir erfahren nicht, was genau die Beschäftigung des jungen Mannes wurde, da sämtlich Angaben sehr unspezifisch sind. Wir erfahren, dass er heiratet, doch es gibt keine Details. Kein Werben, keine Zeremonie, keine Erwähnung von Glück und auch nicht von Kindern.

Mit 35 Jahren strauchelt er, mit 42 ist die Rede von Wohlstand und es werden erstmals eigene Kinder erwähnt. Mit 49 ist er erfolgreich in seinem Gescäft, um mit 56 festzustellen, dass seine Kräfte schwinden. Er wird zu einem vielbeachteten Berater anderer, mit 63 ist er endgültig alt, verliert seine letzten Kräfte und mit 70 muss er schließlich sterben. Der Ausdruck "silly" meint hier sowohl dumm als auch unschuldig. All seine Erfahrung zählt nun nichts mehr, all sein Streben war umsonst, er muss abtreten und PLatz machen für die nächste Generation. Er endet nun dort, wo er begann, im Nichts.

Es scheint keine große Traurigkeit in diesen Worten zu liegen, lediglich die klagende Einsicht, dass dies der Lauf der Dinge ist. Die Melodie und das Arrangement verstärken den Eindruck einer anderen Weltlichkeit, die Glocken und die Anleihen aus fernöstlicher Musik schlagen einen Kreis hin zu anderen Kulturen, etwa den östlichen Glauben an den Kreis des Lebens aus Geburt, Tod und Wiedergeburt. Der Song wird sehr sanft gesungen und voller Mitgefühl. Wir haben hier also einen Song, der leise die Natur der Welt akzeptiert - Anfang, Leben, Ende. Es ist ein Englischer Folksong, sicherlich, aber es ist auch irgendwie Zen.

Es ist interessant, den Text mit dem oben zitierten Werk Shakespeares zu vergleichen “Seven Ages of Man”, aus (“As You Like It,” Akt II, Szene VII, gesprochen von Jacques). Diese Rede ist komplex, dicht und spezifisch. Die 70 Jahre sind hier aufgeteilt in 7 x 10 anstelle 10 x 7, voller lebendiger Bilder und es endet nicht in Akzeptanz sondern in Widerwille. Das Wort “sans” ist aus dem Französischen abgeleitet und bedeutet “ohne”.

“ .................... Last scene of all
That ends this strange eventful history
Is second childishness and mere oblivion.
Sans teeth, sans eyes, sans taste, sans everything”

“ .................... Die letzte Szene von allen,
Welche diese merkwürdige, ereignisreiche Geschichte beendet,
Ist eine zweite Kindheit und pure Vergesslichkeit,
Ohne Zähne, ohne Augen, ohne Geschmack, ohne alles.

Kommentar übersetzt aus dem Englischen,
Originaltext Origin and meaning of Ages Of Man: Gillian Goodman,
© ClassicRocks, Mat Williams 2012


Interpretation von Ages Of Man

von Andrés Ehmann

Das Lied ist die Beschreibung eines Lebens, eines Lebens, das als großes und unabänderliches Scheitern beschrieben wird. Beschrieben wird die psychische Entwicklung des Autors von der Kindheit, die einzige Epoche, in der er glücklich war, bis zu seinem Tode. Die Beschreibung seines Lebens offenbart auch eine eher skeptische Haltung in Bezug auf seine Person, wobei aber unklar bleibt, ob diese Selbstwahrnehmung den Zeitläuften allgemein, also einer allgemeinen Entwicklung zuzuschreiben ist, oder Tatbeständen, die in seinem Charakter liegen. Seine psychische Entwicklung wird auf eine höchst abstrakte Art und Weise beschrieben, was dem Leser die Möglichkeit bietet, eigene Erfahrungen in den Text einfließen zu lassen.

Als Jugendlicher war er mutig, obwohl er selber zugesteht, dass er wohl noch nicht so erwachsen war, wie er selber zum damaligen Zeitpunkt meinte.

I thought myself no more a child,
My own conceit it so me told.

Wir wissen auch nicht, von welchen Vergnügungen er spricht, aber es fällt uns auch nicht besonders schwer, sich diese auszumalen. Auf jeden Fall zahlte er aufgrund seiner mangelnden Lebenserfahrung einen hohen Preis dafür.

Then I did venture far and near
To buy delight at price full dear.

Obwohl wir also nicht wissen, mit was er sich so die Zeit vertrieben hat, erfahren wir, dass er, nachdem er geheiratet hat, von dieser Art an Vergnügungen Abstand genommen hat, wie er uns selbst erzählt.

And leave off all my wanton ways,
Thinking thereby perhaps to thrive
And save myself from sad disgrace.

Sowenig wie wir wissen, um welche Vergnügungen es sich handelte, obwohl wir uns das leicht ausmalen können, so wenig wissen wir, was er dann gemacht hat. Wir wissen nur, dass es etwas ernsthafteres, wohl auch sinnstiftenderes war, was ihn davor abhielt, zu versumpfen. Allerdings scheint es sich nicht um Dinge gehandelt zu haben, die von der Gesellschaft akzeptiert waren, denn er schwamm gegen den Strom.

And leave off all my wanton ways,
Thinking thereby perhaps to thrive
And save myself from sad disgrace.

Die entscheidende Episode setzt jetzt ein. Obwohl der Text weiter nichts präzise ausführt, wagen wir hier eine Interpretation.

At six times seven, all covetness
Began to harbour in my breast,
My mind then still contriving was
How I might gain all worldly wealth

Der Neid nahm ihn in seinen Besitz. Gegen den Strom zu schwimmen, auch wenn es aus ehrenvollen Motiven heraus geschieht, ist nun keine besonders lukrative Beschäftigung, das ist bekannt. Des weiteren kann man annehmen, dass auch Idealisten von der Gesellschaft anerkannt werden wollen und folglich ist es nicht auszuschließen, dass auch der größte Idealist irgendwann resigniert. Schauen wir uns die Verse in der Übersetzung an.

Mit sechs mal sieben begann die Missgunst
Sich in meiner Brust einzunisten.
Mein Verstand klügelte noch immer aus,
Wie ich weltlichen Reichtum anhäufen könnte,
Um Land zu erwerben, darauf zu leben,
Und meine Kinder zu mächtigen Männern zu machen.

Zuvor schwamm er gegen den Strom, vielleicht sogar aus ehrenhaften Motiven heraus, aber jetzt will er haben, was andere auch haben, weil gegen den Strom zu schwimmen eine frustrierende Erfahrung sein kann. Wir wissen nicht, was er vorher suchte, aber jetzt strebt er nach Wohlstand, also das, was alle anstreben. Entscheidend ist die Begründung, die er liefert für sein Streben nach Wohlstand. Sein Streben nach Wohlstand begründet er mit seiner Frustration. Hätte die Gesellschaft ihn auf seinem Weg unterstützt, wäre sein Weg ein anderer gewesen. Der Überang vom - vielleicht idealistischen - Rebellen geschah in zwei Schritten. Zuerst bemächtigte sich der Neid seines Herzens und dann begann sein ganzes Gehirn für dieses eine, vom Neid diktierten Ziel zu arbeiten: Wohlstand.

Mit sieben mal sieben begann die weltliche Sorge,
sich in meinem Gehirn einzunisten,
Dann trank ich einen starken Zug
vom Wasser der reinen Erfahrung.
Niemand war so bereit wie ich,
zu erwerben, zu feilschen, verkaufen oder zu kaufen.

Es ist ein Charakteristikum dieses Textes, dass vieles angedeutet, aber nichts explizit genannt wird. Daraus können wir den Schluss ziehen (da der gesamte Texte stilistisch kohärent ist), dass er von einem konkreten Autor geschrieben sein muss, auch wenn dieser heute unbekannt ist. Er ist also nicht, wie die Nursery Rhymes, ein Produkt der kollektiven Übermittlung mit Auslassungen, Hinzufügungen, Vermischungen etc. Wir haben hier etwas völlig anderes vor uns: Einen höchst stimmigen, kohärenten Text mit einem ganz konkreten Autor, auch wenn dieser heute unbekannt ist. Was uns nun überrascht, ist der große Schluck Wasser der reinen Erfahrung, den er zu sich nimmt. Von anderen Getränken, etwa Wein oder Bier, wissen wir, dass sie manchmal die Realität etwas verschleiern, ein Effekt, den Wasser definitiv nicht hat. Ein großer Schluck vom Wasser der reinen Erfahrung ist nun ein merkwürdiger Ausdruck, aber durch diesen Schluck hat er wohl die Realität desillusioniert so gesehen, wie sie tatsächlich ist, was seiner kaufmännischen Tätigkeit durchaus entgegen kam. Wir brauchen hier weder die "Buddenbrocks" von Thomas Mann zu zitieren noch "Ein Leben" von Italo Svevo noch die wenig erfolgreiche kaufmännische Karriere Heinrich Heines etc., um zu wissen, dass Romantik oder Idealismus dem Geschäft nicht zuträglich sind.

Damit ist dann seine psychische Entwicklung beschrieben. Die folgenden Verse beschäftigen sich mit dem körperlichen Verfall.

Das Lied beschreibt einen völlig desillusionierten Blick auf die Welt. Die Gesellschaft wird nicht direkt kritisiert, was im übrigen die Fatalität noch unterstreicht. Das Scheitern ist nicht das Ergebnis einer von Menschen gemachten Fehlentwicklung, sondern quasi der normale Verlauf der Dinge. Auf die Frage, ob die psychische Entwicklung zwangläufig so sein muss oder das Ergebnis einer spezifischen Konstellation ist, geht der Text nicht ein.

© 2012